Malerei als stetige Selbsterkenntnis und der Hase als Weltenüberbrücker
„Jeder Mensch ist ein Künstler“ und alles ist Kunst, kann man anthroposophisch im Sinne von Joseph Beuys argumentieren, der 1965 dem toten Hasen die Kunst erklärte und ihn 1982 zum Freiheitssymbol krönte. Vielmehr liegt hier „der Hase im Pfeffer“. Um dem eigenen Wesen und dem der Kunst gerecht zu bleiben, braucht es Bildung, Hingabe, Muße, Talent im klassischem Sinne und die stetige Selbstauseinandersetzung, diese Einheit im Ganzen zu erkennen. Sie zu erfahren und somit den Kunstbegriff zu erweitern, empfiehlt es sich auf die ganze Aussage von Beuys zu schauen. So ist jeder Mensch „auf dem Weg zur Freiheitsgestalt des sozialen Organismus“ ein Künstler. Jeder trägt das Potential in sich und ist auf dem Weg zu sich selbst als Wesen immer schöpferisch. Jedes Wesen ist in diesem Sinne Künstler, damit ist der Moment der Schöpfung gemeint, der in Allem inne wohnt, auch im Hasen und im toten Hasen.
Der Versuch, die einzelnen Bilder oder das Gesamtwerk einer Kunstrichtung zuzuordnen führt einen letztendlich immer wieder zur Malerei von Tina Oelker. Sie ist im klassischen Sinn avantgardistisch. Das Gesamtwerk der 1000 Hasen ist durch das Konzept in seiner Fülle und dem Bezug auf das Wesen der Malerei selbst in der Kunstwelt einzigartig. Als Kind der 70er Jahre bleibt der Künstlerin beinahe nichts anderes übrig, als alle Kunstrichtungen des 20. und 21. Jahrhunderts zu durchlaufen, um sich genau davon zu befreien. Betrachtet man die Hasen chronologisch, wird dieser Prozess deutlich sichtbar. Eine Selbstdefinition erfordert Abgrenzung und gleichzeitig eine konzentrierte Offenheit für das Zulassen des eigenen Duktus.
Bis zu Vollendung sollte es mindestens dreieinhalb Jahre dauern, das Gesamtwerk malerisch zu realisieren (Tageshase # 0001, Dezember 2014). Im Gegensatz zur seriellen Kunst, gilt das Prinzip der Wiederholung mit der Voraussetzung der Einzigartigkeit jedes einzelnen Bildes. Durch die Eingrenzung von Motiv und Format ist es der Malerei erlaubt sich in diesem klar definiertem Spielraum frei zu entfalten. Grenzen werden spürbar und die Malerei wird auf sich selbst zurück geworfen. Indem sie sich immer wieder vom Motiv löst, schafft sie es in diesem Format stetig neue Varianten zu erzeugen. Der Eindruck von Selbstverständlichkeit, Vertrautheit und Leichtigkeit ist gut durchdachtes Konzept. Das Format 60 x 40 x 5 cm erzeugt in der Gegenüberstellung den Eindruck eines Spiegels auf Augenhöhe, gleicht in der Serie einer Ahnenreihe und steht in der Objekthaftigkeit gleichzeitig für sich auch allein. Farbgebung und Komposition verlocken, auffällig sichtbar in den ersten hundert bis zweihundert Bildern, zunächst etwas lauter in ihrer Farbgewalt und Unmittelbarkeit. Der Wechsel von Figuration und Abstraktion wird in den darauffolgenden Bildern immer deutlicher. Diese Pendelbewegung wird schneller und zunehmend intensiver, bis es egal ist, ob allein die Behauptung der Serienzugehörigkeit den Betrachter einen Hasen sehen lässt oder die echte Intention durch die Malerei. Nun ist Alles Hase.
Betrachtet man die Strahlkraft des Gesamtwerkes, tritt eine Implosion jedes einzelnen Bildes zu Tage. Das einzelne Bild mit der Intention von Tausend lässt Voreiligkeit anmuten, jedoch erreicht der Hase mit dem anhaltenden und stetigen Tempo der Malerei nach sieben Jahren sein Ziel und zeigt in jeder Form sein interniertes Potential. Die kalkulierte Zeit von dreieinhalb Jahren ist gedehnt, das Format nach sechshundert Bildern gesprengt, die Materialität erweitert. Die Zeichnung als Grundlage für die Malerei, der intuitive und gezielte Strich stets stark genug, um Hase zu sein.
Mein Name ist _______, was weiß ich - schon
bin ich wieder fort.
Hamburg, 27. Juni 2016